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Von Kosmofreunden und Konserven

Foto: NASA/ESA-M.Maurer
Matthias Maurer

Dr. Matthias Maurer ist deutscher ESA-Astronaut. Im November 2021 reiste er ins Weltall. Auf der Internationalen Raumstation ISS führte er spannende Experimente in der Schwerelosigkeit durch. Im Mai 2022 kehrte er nach einem halben Jahr im Weltraum zurück zur Erde. Zuvor machte Matthias sich einen Namen als Wissenschaftler. Er hat Materialwissenschaft und Werkstofftechnik in vier unterschiedlichen Ländern studiert.

Du hattest ja auf der ISS Geburtstag. Wie hast du im All gefeiert? Gab es Torte? Was haben die anderen Astronauten für dich gemacht?

Matthias: Eine Torte gab es leider nicht. Das hätte mir noch gefallen! Aber wir haben natürlich ein bisschen gefeiert. Das Schöne war, an meinem Geburtstag kam eine neue Kapsel mit drei Kosmonauten-Freunden an. Normalerweise sind wir nur zu siebt auf der Raumstation, nun waren wir zehn. Ich beschloss: „Machen wir eine Party!“ Ich hatte dann jedem Essen angeboten, das ich extra aus meinem Essen für diesen Tag aufgehoben habe. Gemeinsam haben wir dann lecker zu Abend gegessen. Später haben wir laut Musik gehört, getanzt und so richtig gefeiert. Tanzen in drei Dimensionen ist besser als auf der Erde!

Das klingt auf alle Fälle nach sehr viel Spaß! Dann die nächste Frage, die auch ein bisschen mit deinem Geburtstag zu tun hat: Wenn man jetzt eine Sahnetorte mit auf die ISS nehmen würde, was würde dann mit ihr eigentlich in der Schwerelosigkeit passieren?

Matthias: Die Sahne ist ja Sahneschaum. Der Schaum wäre im Weltall noch viel stabiler als auf der Erde. Auf der Erde ist es so, dass die Schwerkraft die Sahne zusammendrückt. Aber oben im Weltall wäre der Schaum dann richtig luftig und total leicht. Sie würde vielleicht sogar ein bisschen cremiger schmecken! Der Grund ist ganz einfach: die Luft bleibt wegen der Schwerelosigkeit besser in der Sahne enthalten. Die Sahne würde dann so richtig schön schaumig wirken. Ich habe das im Weltall gemerkt, als ich mir die Zähne geputzt habe. Anfangs habe ich so viel Zahnpasta auf meine Zahnbürste gemacht wie auf der Erde. Beim allerersten Mal Zähne putzen, habe ich gemerkt: „Oh, ich kriege fast gar keine Luft mehr“, weil so viel Schaum im Mund entstanden ist. In der Schwerelosigkeit schäumen Sachen besser. Bei der Sahne ist auch viel Luft enthalten und deswegen ist sie auch so angenehm im Mund, weil sie so schaumig ist. Das ist genauso wie auch bei Vanilleeis oder normaler Eiscreme. Es müssen auch dort ganz feine Luftbläschen drin sein, ansonsten schmeckt das nicht. Je schaumiger es ist, desto angenehmer ist es für den Geschmack. Das gilt auch für den Latte Macchiato-Schaum. Ich liebe Latte Macchiato!

Das klingt nach viel Spaß. Was muss ich denn als junger Mensch tun, um selbst irgendwann ins All fliegen zu können? Was muss ich denn tun, wenn ich heute 10 Jahre alt wäre und sagen würde, dass ich in 20 Jahren als Astronautin ins All fliegen will? 

Matthias: Der erste, wichtigste Schritt ist, man muss dafür sorgen, dass es auch Flüge gibt. Wir haben in Deutschland eine ganz tolle Frau: Das ist die Anna Christmann. Sie arbeitet im Wirtschaftsministerium und ist sozusagen die Vertreterin der Politik. Frau Christmann entscheidet schon jetzt: „Welche Flüge gibt es denn in 10 Jahren, in 20 Jahren?“. Das heißt, ich würde Frau Christmann einen Brief schreiben und sagen „Liebe Frau Christmann, ich würde in 20 Jahren gerne ins All fliegen, können Sie mir da helfen?“ Das ist der Schritt Nummer eins. Schritt Nummer zwei ist: Ich muss dafür sorgen, dass ich als Astronautin oder Astronaut ausgewählt werde. Deswegen ist eine gute Schulbildung wichtig. Ich würde ein Studium in den Bereichen Naturwissenschaft, Technik, Ingenieurwesen oder Medizin empfehlen – ja, man braucht auch gute Medizinerinnen und Mediziner im All. In Zukunft braucht man auch Geologinnen und Geologen, um den Mond zu erkunden. Das heißt, man braucht eine gute Ausbildung. Aber das Allerwichtigste ist: Man sollte das tun, was einem Spaß macht. Wenn man keinen Spaß an den Sachen hat, dann ist es sowieso der falsche Weg. Man muss spüren: „Das interessiert mich, ich will das machen“ und dann läuft alles von selbst. 

Also Grundlage ist es, Leidenschaft dafür zu haben?

Matthias: Ja, die Leidenschaft! Die Leidenschaft ist das Wichtigste.

Yvonne von ZUKUNFTSFLIEGER-Team hat Astronaut Matthias im FEZ Berlin zum Interview getroffen.
Yvonne und Matthias

Da kann ich voll zustimmen. Gibt es Berufe, die dich rund um die Raumfahrt besonders faszinieren?

Matthias: Ich bin jetzt Astronaut. Bevor ich Astronaut wurde, habe ich auch schon ein bisschen in der Raumfahrt gearbeitet. Ich habe anderen Kolleginnen und Kollegen geholfen, sich auf ihre Mission vorzubereiten. Ich habe sie unterstützt. Jetzt, nach der Mission, ist mein Job auch, neue Projekte vorzubereiten. Richtig faszinierend finde ich die Wissenschaft – also forschen, untersuchen und neue Anlagen bauen. Bald werde ich mit vielen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern eine Mond-Trainingsanlage am Standort Köln aufbauen. Es ist also so ein bisschen Ingenieurstätigkeit. Ich mag es auch sehr, mit internationalen Kollegen zu arbeiten. Bei der ESA kommt ganz Europa zusammen: Wir sind aus Frankreich, England, Italien, der Schweiz und weiteren Ländern. Wir sprechen Englisch, Französisch, Spanisch oder Italienisch miteinander. Das kann auch spannend sein und so macht die Arbeit gleich dreimal so viel Spaß.

Wenn du sagst, dass du mit Leuten aus unterschiedlichen Ländern zusammenarbeitest, wie ist es denn da von der Sprache her? Sprecht ihr alle Englisch miteinander?

Matthias: Englisch ist Pflicht. Aber ich habe auch in Frankreich und Spanien studiert. So habe ich die Möglichkeit, das, was ich in der Schule oder im Studium an Sprachen gelernt habe, immer wieder mit meinen Kolleginnen und Kollegen zu üben. Das ist total klasse. An allen ESA-Standorten sind wir wie ein kleines Europa – wie eine kleine Insel. Das ist total schön.

Gibt es Schulfächer, die wichtig sind, wenn man später in der Raumfahrt arbeiten möchte?

Matthias: Wenn man in der Raumfahrt arbeiten möchte, da haben wir schon gerade darüber gesprochen, dann ist vor allem Sprechen ganz wichtig. Englisch sollte man auf alle Fälle beherrschen. Wer will, der kann natürlich auch Französisch oder Spanisch mitbringen oder eine andere ESA-Sprache. Englisch ist aber das absolut Wichtigste. Auch bei den naturwissenschaftlichen Fächern sollte man ein bisschen aufpassen: Physik, Chemie und Mathematik gehören einfach dazu, und Informatik ist wichtig zum Programmieren. Man muss aber nicht in jedem Fach super gut sein. Jedoch sollte man eins oder zwei von diesen Fächern schon mitbringen. Natürlich benötigen wir auch gute Leute, die schauen, dass wir Geld bekommen und es dann effizient einsetzen. Bei uns haben wir deshalb auch Leute, die BWL studiert haben. Nicht jeder oder jede ist Naturwissenschaftlerin oder Naturwissenschaftler oder Ingenieurin oder Ingenieur. Es gibt verschiedene Berufe. Auch Juristinnen und Juristen. Wir haben sehr viele Berufe, bei denen man eigentlich am Anfang denkt: „Warum braucht man sowas für die Raumfahrt?“

Das ist auch mal gut zu wissen. Denn es heißt ja immer: Schwerpunkt sind natürlich die MINT-Fächer. Aber es ist schön zu wissen, dass es noch andere Bereiche gibt, die gebraucht werden. Zum Thema Faszination MINT. Vielleicht als erstes: Warum gibt es denn Forschung im All überhaupt? Kann man das nicht alles viel komfortabler von der Erde aus machen?

Matthias: Von der Erde aus wäre es komfortabler, da gebe ich dir recht. Aber es gibt natürlich Sachen, die du nur in der Schwerelosigkeit machen kannst. Viele der physikalischen Prozesse haben unterschiedliche Ursachen. Wenn du zum Beispiel ein Metall hier auf der Erde schmilzt, da gibt es verschiedene Effekte, die zusammenwirken. Wenn du verstehen willst, wie genau dieser Effekt wirkt, dann ist das hier auf der Erde aufgrund der Schwerkraft oft nicht möglich. Wenn wir dann aber ins Weltall fliegen, können wir die Schwerkraft „abschalten“. Die Versuche sind dann ohne Schwerkraft! Dann kannst du Effekte entdecken, die ganz, ganz wichtig sind. Wir wollen ja immer bessere Maschinen und Materialien entwickeln und dafür musst du auch diese kleinen Effekte verstehen. Sie können wir einfach nur im Weltraum untersuchen. Wir werden jetzt nicht neue Automotoren im Weltall bauen, das machen wir nicht. Dort oben experimentieren wir nur. Wenn wir dann die Erkenntnisse gewonnen haben, können wir sie in einen Computer einfüttern. In dem Computer können wir dann neue Motoren designen, simulieren. Das heißt: Wir brauchen diese Versuche nur ein- oder zweimal im Weltall zu machen und schon haben wir die Sachen erledigt und können wieder neue Versuche machen. Aber diese Daten können wir wirklich nur im Weltraum generieren. 

Wenn wir gerade über die Experimente sprechen, wäre meine nächste Frage: Was war denn für dich das spannendste Experiment?

Matthias: Ich habe Werkstoffwissenschaften studiert. Daher finde ich alle Experimente sehr spannend, die etwas mit einem neuen Material zu tun haben. Innovation, also etwas ganz Neues auf der Erde zu machen, hat zu 70 Prozent etwas mit einem neuen Material zu tun. Wir hatten da diese neuen Oberflächen und Materialien, die laserstrukturiert und antimikrobiell sind. Das fand ich sehr spannend. Aber wir hatten oben auch zum Beispiel ein Experiment, da musste ich Beton anrühren. Beton im All, da denkt jeder: „Was machst du denn damit?“ Das ist eigentlich kein Werkstoff, den man ins All bringt. Aber dieser alte, klassische Werkstoff Beton, der kann ja noch verbessert werden. Man muss wissen, dass bei der Betonherstellung weltweit mehr CO2 freigesetzt wird, als durch den kompletten Luftverkehr. Alle Flugzeuge und Raketen, die fliegen, erzeugen weniger CO2 als alleine durch die Betonherstellung freigesetzt wird. Das heißt, wenn ich an diesem Werkstoff noch ein bisschen was drehen und verbessern kann, und dabei vielleicht weniger CO2 erzeuge, habe ich einen ganz wichtigen Beitrag gegen den Klimawandel geleistet. Deswegen fand ich dieses Experiment ganz spannend. Etwas Altes zu nehmen, das so eine starke Auswirkung hat. Wenn ich das noch verbessern kann, dann sind wir ein gutes Stück nach vorne gekommen. 

Auf alle Fälle. Du warst ja als deutscher Astronaut im All. Gibt es denn auf der ISS Technik, die speziell in Deutschland entstanden ist?

Matthias: Die Oberflächen, die ich heute Morgen vorgestellt habe, wurden zum Beispiel an der Universität in Saarbrücken hergestellt. Da hatte ich verschiedene T-Shirts dabei - ganz clevere Dinger. Die T-Shirts hatten Sensoren eingebaut und wurden auch von deutschen Universitäten gebaut. Beim Sport auf der Raumstation trug ich einen blauen Trainingsanzug aus Deutschland, der mir kleine Stromschläge verpasst hat. Dieser Anzug hat Elektroden, eine Batterie und einen kleinen Computer. Dadurch wird das Training in der Schwerelosigkeit effektiver. Man sagt, wenn ich 20 Minuten mit diesem Anzug Sport mache, dann ist das so effizient wie 1,5 Stunden ohne diesen Anzug Sport zu machen. Auf der Raumstation ist es natürlich ganz wichtig, dass wir die Zeit gut ausnutzen und ich Muskeln austrainiere, die ich mit den Geräten oben noch nicht so gut trainieren kann. Deswegen hatte ich diesen speziellen Anzug als Forschungsgegenstand dabei. Das finde ich ganz klasse. Wir hatten natürlich noch Schmelzöfen, die auch in Deutschland entwickelt wurden. Aber wir haben auch Technik „made in Germany“, die sich jetzt nicht auf der Raumstation befindet, aber trotzdem ganz wichtig ist. Wir schießen bald eine Rakete Richtung Mond. Vorne in der Kapsel fliegen die Astronautinnen und Astronauten. Hinter dieser Kapsel gibt es eine kleine Einheit, in der unter anderem der Motor, die ganzen Aggregate und die kleinen Raketenantriebe stecken. Die Kapsel wird in Bremen gebaut. Wenn die NASA in Zukunft zum Mond fliegt, wird also auch immer ein Stück Europa dabei sein. 

Wenn man das jetzt alles ein bisschen Revue passieren lässt: Du warst ein halbes Jahr im All. Auf was hast du dich am meisten gefreut, als du wieder zurück warst?

Matthias: Auf meine Freundinnen, Freunde und die Familie. Außerdem trinke ich sehr gern Kaffee und den Kaffeeschaum, den gibt es ja da oben nicht. Außerdem wollte ich mal wieder eine Pizza essen – und frisches Obst. Das war mir so wichtig. Da oben hatten wir nur Konservenkost. Wenn eine Kapsel neu ankommt, dann bekommen wir ja auch mal was. Ich glaube, wir haben einmal zwei Bananen und zwei Mangos erhalten. Aber die sind dann nach drei Tagen weg. Davon abgesehen: Die Erde ist wirklich superschön und spannend. Ich habe mich gefreut, wieder grüne Farbe zu sehen und frische Luft zu atmen. Oben im All haben wir ja nichts Grünes. Frische Luft im Gesicht zu spüren, das ist einfach unglaublich. Auf der Erde ist es schon hundertmal besser als auf der Raumstation. Aber ich möchte es natürlich auch nicht missen, im Weltraum gewesen zu sein. 

Wie lange braucht denn so eine Kapsel von der Erde zu euch? 

Matthias: Es kommt auch immer drauf an. Die russischen Kolleginnen und Kollegen schaffen es mittlerweile, in drei Stunden hoch zu fliegen. Es hängt immer von mehreren Faktoren ab: Die Raumstation muss beim Start genau über den Startpunkt fliegen, dann kann man es in drei Stunden schaffen. Bei uns war es so, also in Amerika: Cape Canaveral ist ja ein subtropisches Gebiet und deswegen spielt das Wetter hier eine wichtige Rolle. Da kann man nicht auf diesen einen Tag pro Monat hoffen, an dem alle Bedingungen optimal sind. Sie starten, wenn das Wetter gut ist und dann dauert es in der Regel 24 Stunden. Das ist aber auch kein Problem. 

Was vermisst du auf der Erde?

Matthias: Ich vermisse meine Weltraum-Familie. Die leben nun in den USA oder sind noch oben auf der ISS. Es waren großartige Erlebnisse, die uns verbinden. Ich bin jetzt wieder alleine hier in Deutschland. Mir fehlt auch der Blick runter auf die Erde. In neunzig Minuten um die Welt zu fliegen – das war unglaublich. Das heißt auch, die Erde jeden Tag 16 mal von einer anderen Seite zu sehen. Die Erde bewegt sich ja, wenn wir drüber fliegen. Das heißt, wenn du jetzt einmal neunzig Minuten rum geflogen bist: Die nächsten 90 Minuten fliegst du nicht über die gleichen Stellen, sondern du siehst die Erde immer wieder von einer anderen Seite. Das war einfach unglaublich. Es ist toll dort oben. Ich vermisse die Zeit im All.